
- Steffi

Freie Journalistin für Chemnitz und Umgebung.
Gewaltfreie Kommunikation in der Familie.

Susann Hannusch ist 32 Jahre alt, verheiratet und lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Lichtenau. Als Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation und ganzheitlicher Coach bietet sie sowohl persönliche, individuelle Beratung als auch Vorträge, Übungsgruppen und Workshops
sowie Online-Kurse an.
Ein Interview mit Susann Hannusch.
Überblick
Bereits in den 1960ern kam der Begriff das erste Mal auf: Gewaltfreie Kommunikation. Der amerikanische Psychologe Marshall B. Rosenberg begründete damit ein neues Kommunikationsmodell. Es beruht auf dem Prinzip einer friedlichen Konfliktlösung im Dialog. Mittlerweile gilt die Gewaltfreie Kommunikation, kurz GFK genannt, als Trend. Doch was steckt nun genau dahinter? Ab wann kann man sie bei Kindern anwenden? Und können sie auch Erwachsene, die ganz anders erzogen wurden, noch lernen und verinnerlichen? Die Chemnitzerin Susann Hannusch ist Diplom-Ingenieurin. Bis vor wenigen Jahren hatte sie einen bestimmten Plan vom Leben: nach der Promotion im Bereich Maschinenbau wollte sie in dieser Fachrichtung sesshaft werden. Doch als 2016 ihre Tochter geboren wird, ändert das die Sicht der 32-Jährigen grundlegend. „Je älter mein Kind wurde, umso mehr habe ich erkannt, worum es im Leben eigentlich geht – nämlich Bedürfnisse zu befriedigen. Dieses Thema ließ mich nicht mehr los und ich spürte plötzlich, dass es überhaupt nicht mein Bedürfnis war, im Maschinenbau weiterzumachen, sondern im Sozialen, Zwischenmenschlichen“, erzählt Susann Hannusch. Für Baumkinder habe ich sie in punkto Gewaltfreie Kommunikation interviewt und wollte wissen, wie dieses Modell sowohl der Eltern-Kind-Beziehung, als auch der Kommunikation Erwachsener untereinander helfen kann, leichter durch den Alltag und das Leben zu gehen.

Interview mit Susann Hannusch.
Susann, gab es bei dir einen Schlüsselmoment, in dem du gemerkt hast – hier komme ich jetzt so nicht weiter?
Susann Hannusch: Ja, den gab es. Nach einem Jahr arbeiten, Kita und Familienalltag, wollte meine Tochter nicht mehr in die Kita gehen, obwohl sie vorher gern ging. Das Abgeben am Morgen war täglich eine Qual. Zum Teil schrie sie, als wir aus dem Bus ausstiegen. Dabei spiegelte sie mir meine eigene Unzufriedenheit mit meinem Job und so entschloss ich mich, etwas zu verändern.
Du bist dann schnell zur „Gewaltfreien Kommunikation“, kurz GFK, gekommen. Kannst du das Konzept kurz erklären?
Susann Hannusch: Kurz gesagt: Es geht um eine verbindende Kommunikation, die das Konfliktpotenzial verringert. Die Grundannahme der Gewaltfreien Kommunikation beruht darauf, dass Menschen gern von sich aus die Bedürfnisse von anderen erfüllen möchten – wenn sie das freiwillig tun dürfen und für sie nichts gegen die eigenen Bedürfnisse spricht.
Das Gegenüber kann sowohl das Kind, der Partner als auch der Chef sein?
Susann Hannusch: Ganz genau. Wenn man sich einmal darauf eingelassen hat, kann die GFK zu mehr Harmonie führen, was wiederum Freiheit und Leichtigkeit mit sich bringt. Das Modell will in jedem Fall Menschen verbinden.



Nun gibt es ja ganz unterschiedliche Arten von Bedürfnissen.
Susann Hannusch: Das stimmt. Nehmen wir zum Beispiel ein Baby, das schreit – es könnte Hunger haben, eine volle Windel, müde sein oder auch kuscheln wollen. Ganz egal, was es ist, das Baby kann nur schreien, um sein Bedürfnis klarzumachen. In dem Fall sollte man das Bedürfnis sofort erfüllen. Mit dem Alter nehmen die Kompetenzen zu. Ein Kleinkind kann lernen, auch mal einen Moment zu warten. Oftmals verpufft die größte Wut sogar schon dann, wenn ein Bedürfnis erkannt wird, ohne dass es sofort erfüllt wird. Sich also bewusst zu machen, was das eigene Bedürfnis und das des Gegenüber ist, ist die Voraussetzung für alles weitere.
Wie gehe ich ganz praktisch vor, wenn ich die Gewaltfreie Kommunikation anwenden möchte?
Susann Hannusch: Es gibt da eine klare Methode, die vier Schritte beinhaltet: Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis und Bitte. Bei der Beobachtung stelle ich mir die Frage: Was sehe ich gerade? Beim Gefühl ist es die Frage: Was empfinde ich dabei? Aus dem Gefühl resultiert das Bedürfnis. Die Bitte sollte schließlich an das Gegenüber gerichtet werden – konkret und positiv sowie im Hier und Jetzt erfüllbar.
Kannst du diese vier Schritte an einem konkreten Beispiel erläutern?
Susann Hannusch: Viele Eltern kennen die Situation: Sie kommen ins Kinderzimmer und es sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Doch schon damit geht es los. Ich kann in dem Moment ins Zimmer kommen und genau das dem Kind sagen: „Wie sieht’s denn hier schon wieder aus?“ Da schwingen sofort Vorwürfe und Druck mit und mein Gegenüber macht im schlimmsten Fall gleich dicht. Wenn ich die Schritte der GFK anwende, könnte das Ganze so beginnen: Als erstes die Beobachtung formulieren, zum Beispiel „Ich sehe verschiedenes Spielzeug in deinem Zimmer liegen. Da vorn liegen auch drei einzelne Socken auf dem Boden“ usw. Danach das Gefühl dazu mitteilen: „Bei diesem Anblick fühle ich mich unwohl und unsicher“. Das Bedürfnis, das daraus resultiert, könnte sein: „Ich wäre entspannter, wenn ich wüsste, dass ich in dein Zimmer kommen kann, ohne Angst haben zu müssen, auf etwas drauf zu treten, das kaputt gehen könnte“. Schließlich die Bitte: „Sag mir bitte, wann du bereit bist, hier aufzuräumen oder wie wir es gemeinsam machen könnten.“
Das klingt sehr harmonisch. Aber kann man diese Schritte wirklich immer anwenden? Ich denke da an Dinge wie trödeln am Morgen, anziehen, essen, aufstehen oder ins Bett gehen.
Susann Hannusch: Wenn man so eine Situation erlebt, sollte man sich immer als erstes fragen: Was ist mir gerade wichtig? Und wofür bin ich wirklich verantwortlich? Wir Erwachsenen fallen durch unsere eigene Erziehung ganz schnell ins Drama. Wir machen uns Druck, weil wir uns Gedanken darüber machen, was andere über uns denken. Wenn wir diesen Druck rausnehmen, löst sich vieles von selbst. Was passiert denn wirklich, wenn ein Kind an einem Abend einfach keine Zähne putzen will? Es wird nicht sofort Karies bekommen. Was passiert, wenn es an einem kalten Tag partout ohne Mütze und Schal hinaus will? Es wird daran in der Regel nicht ernsthaft erkranken.
Was lernen Kinder dadurch?
Susann Hannusch: Sie lernen, dass ihre Bedürfnisse ernstgenommen und sie somit gehört werden. Das werden sie später im Idealfall auch in ihre eigene Partnerschaft, bei Freunden und Arbeitskollegen mitnehmen. Es ist auch ein Trugschluss zu glauben, dass Kinder, wenn sie einmal ein Bedürfnis in einem bestimmten Moment befriedigt bekommen – nehmen wir das Beispiel mit dem Weglassen des Zähneputzens – es immer wieder so einfordern.
Ab wann kann man mit Kindern nach den Methoden der Gewaltfreien Kommunikation kommunizieren?
Susann Hannusch: Das geht schon in der Kleinkindzeit. Natürlich gibt es bei kleineren Kindern, die noch nicht so gut sprechen können, eine Herausforderung: ihnen Worte für das zu geben, was sie empfinden, ohne ihnen die Worte dafür in den Mund zu legen.


Wie kann man das am besten machen?
Susann Hannusch: Indem wir die vier Schritte der GFK befolgen. Wenn ein Zweijähriger am Nachmittag in der Garderobe der Kita sitzt und sich nicht anziehen will, wird er kaum formulieren können, dass er einen anstrengenden Tag hatte, einfach müde ist und jetzt nichts mehr tun will. Wir könnten nun mit dem ersten Schritt der GFK, dem Beobachten, beginnen und sagen: „Ich sehe, du willst dich jetzt nicht anziehen“. Das Kind wird darauf vermutlich mit Ja antworten. Mit der Gefühlsebene geht es weiter: „Kann es sein, dass du gerade schlapp bist und das Anziehen dich anstrengt?“. Das Kind merkt dann schnell, dass sein Gegenüber sein Bedürfnis erkennt, was sein könnte: „Möchtest du, dass ich dir beim Anziehen helfe?“
Unsere Generation ist größtenteils ganz anders erzogen worden. Bedürfnisse wurden da oft schnell übergangen, um das Kind nicht zu verwöhnen. Können Erwachsene die Gewaltfreie Kommunikation überhaupt noch so verinnerlichen, dass sie effektiv im Umgang mit den eigenen Kindern ist?
Susann Hannusch: Es ist in der Tat so, dass wir ganz anders geprägt wurden. Dennoch hat die GFK das Potenzial, für alle ein Weg der besseren Kommunikation zu sein. Man sollte nur zwei Dinge mitbringen: Offenheit und den Willen, etwas verändern zu wollen.